FU Kreisverband Warendorf

Die Frauenliste

 

„Die Frauenliste“
Warendorfer Frauen kämpfen um einen Platz im Stadtparlament
 
 
   
 
 
Im Jahr 1924 gab es politische Aufregungen in Warendorf. Der Rat der Stadt musste im Mai neu gewählt werden. Eigentlich sollte alles sehr einvernehmlich vor sich gehen. Die Zentrumspartei hatte sich mit den anderen Parteien auf eine „Bürgerliche Verständigungsliste“ geeinigt. Die Kandidaten wurden nach berufsständischen Gesichtspunkten ausgewählt. Die Listenplätze waren schnell vergeben.
Auch die Warendorfer Frauen hatten sich um einen Platz auf der Liste beworben. Sie wollten eine Vertreterin in das Stadtparlament entsenden. Aber keiner der Stände verzichtete auf seinen Sitz, so wurde den Frauen eine Absage erteilt.
Doch die Warendorfer Frauen gaben sich damit nicht zufrieden und bestanden darauf, einen Platz auf der Liste zu bekommen.
Als alles Bitten vergebens war, stellten sie eine eigene Liste auf. So entstand die erste und einzige „Frauenliste“ in Warendorf, mit sieben angesehenen Bürgerfrauen als Kandidatinnen. Clara Schmidt stand an der Spitze.
Clara Schmidt, geb. Willebrand war in Warendorf aufgewachsen. Sie hatte mit ihrem Mann, dem Oberlandesgerichtsrat Edmund Schmidt, lange in Karlsruhe gelebt und war nach seinem Tode wieder in ihre Heimatstadt Warendorf zurückgekehrt.
Nun war sie die rührige und ideenreiche Vorsitzende des Kath. Frauenbundes.
Bei den Zusammenkünften der Frauen wurden auch politische Themen diskutiert, insbesondere Mädchenschulbildung, Jugendfürsorge, Volksbildung, Kino, Armenfürsorge, Betreuung der Wöchnerinnen und vieles mehr. Das neue Wohlfahrtsgesetz brachte für die Städte viele neue Aufgaben. Auch dabei wollten die Frauen mitreden, denn, so schrieben sie in der Zeitung: „Es gibt gewisse Dinge, wo ein Frauenzimmer schärfer sieht, als hundert Augen der Mannspersonen!“
Die Frauen entfachten eine rührige Propagandatätigkeit. In Privatwohnungen fanden Besprechungen und Versammlungen statt. Diejenigen Frauen, die über genügend Zeit verfügten und redegewandt waren, gingen in den verschiedenen Stadtteilen und Bauernschaften von Haus zu Haus, um für die Frauenliste zu werben. Meistens wurden sie freundlich aufgenommen. Vor allem die Hausfrauen brachten ihnen viel Verständnis entgegen. Es kam aber auch vor, dass sie vom Hausherrn angeknurrt wurden und zu hören bekamen: „Frauen gehören hinter die Kochpötte und sollen lieber auf ihre Kinder aufpassen!“
In ganz Warendorf wurde über die Kandidatur der Frauen aufgeregt gestritten. Und es sprach sich herum, dass die Suffragetten in London, die für die Rechte der Frauen auf die Straße gingen, sogar ins Gefängnis geworfen wurden.
Je näher der Wahltag rückte, desto erhitzter entbrannte der Kampf. Der Stadtverordnetenvorsteher verkündete: „Solange ich im Rathaus bin, kommt kein Unterrock ins Stadtparlament!“
Je eifervoller die Frauen ihre Rechte verteidigten, um so hartnäckiger wurden die Männer.
„Keine Frau soll ins Rathaus einziehen!“ sagten drei honorige Bürger, die in Mimi Temmes Gastwirtschaft am Marktplatz zur Bekräftigung dieses Schwurs 300 Mark unter ihre Altbierpötte legten. Die sollten verwettet sein, falls ein Frauenzimmer ins Rathaus einzieht.
Die Kunde von den mutigen Frauen in Warendorf verbreitete sich über ganz Deutschland. Die großen Zeitungen in Köln, Hannover oder Hamburg brachten lange Artikel mit den Schlagzeilen:
„ Amazonenschlacht in Warendorf!“
„Da werden Weiber zu Hyänen!“
„ Schmerz, lass nach!“
„ Frauen kämpfen um ihr Recht!“
 
Auch im Ausland machten die Warendorfer Frauen von sich reden. Ein Londoner Blatt titelte:
„Wir beglückwünschen und grüßen die Warendorfer Suffragetten!“

 
 
 
Je näher die Wahl kam, um so hitziger wurde die Auseinandersetzung. Die letzten Tage und Nächte waren zermürbend und manche Frau bekam Angst vor der eigenen Courage.
 
 

Flugblätter, auf denen die Frauen lächerlich gemacht wurden, flatterten in die Häuser und wurden an Litfasssäulen, Mauern und Bäumen angeschlagen.
Die Ehemänner wurden bedrängt, ihre Frauen an der Leine zu halten, was wiederum die Frauen herausforderte, zu erklären, sie seien Manns genug, mit ihrem Stimmzettel gegen die Männer zu kämpfen.
Spottgedichte wurden verfasst und vertont und mit Musikbegleitung und der dicken Trommel nächtens vor den Häusern der kandidierenden Frauen gesungen.
 

 
 
 
 
Endlich kam der wichtige Tag, der 4. Mai 1924. Die Wahlbeteiligung war überwältigend.
Am Abend versammelten sich die interessierten Bürger im Kolpinghaus, um die Resultate aus den Wahlbezirken telefonisch in Empfang zu nehmen. Als unübersehbar wurde, dass die Frauenliste viele Stimmen bekommen hatte, wurden die Gesichter der Gegner immer länger. Kreideweiß um die Nase stellte ein Bürger fest: „ Ich glaube, die kriegen wahrhaftig eine drin!“
 
Das Unglaubliche geschah: Die Frauenliste bekam 782 Stimmen und zog mit vier Bürgerinnen ins Stadtparlament:
Frau Clara Schmidt, Vorsitzende des Kath. Frauenbundes
Fräulein Johanna Schwarte, Jugendfürsorgerin
Frau Theresia Kemner, Webersfrau
Frau Frieda Schräder, Kaufmannsfrau
Die Verständigungsliste des Zentrums errang 2406 Stimmen, das waren 12 Mandate,
die Sozialdemokraten bekamen mit 481 Stimmen 2 Mandate.
Auch nach Amtsantritt mussten sich die gewählten Frauen noch manche Demütigung gefallen lassen.
So wurde in der ersten Ratsversammlung nur kurz beraten. Dann erklärte der Stadtverordnetenvorsteher: „Ich schließe hiermit die Versammlung und bitte die Herren, mit mir ins Nebenzimmer zu gehen.“ Die vier Frauen wurden ausgeschlossen.
Als zu Fronleichnam die Frage akut wurde: „Sollen die Frauen bei der Prozession mit den Ratsherren hinter dem Allerheiligsten gehen?“ mussten sich die Frauen anhören: „ Frech genug wären die ja!“
Aber sie ließen sich nicht verblüffen: Wer A sagt, muss auch B sagen. Die Ratsherrinnen zogen ihr Schwarzseidenes und die weißen Glacéhandschuhe an und mischten sich unter die Ratsherren. Das Aufsehen und das Getuschel war groß! Noch nie haben so viele Zuschauer bei einer Prozession am Straßenrand gestanden.
Als bei der Einführung des neuen Bürgermeisters Rudolf Isphording und dem nachfolgenden Festessen der Oberpräsident Gronowski aus Münster auf die vier Damen zuging und sich angeregt mit ihnen unterhielt und sogar eine der Damen zu Tisch führte, gewannen die Frauen auch bei den Ratsherren an Ansehen.
Die Gemüter beruhigten sich, die Spannung ließ nach und es kam zu einer einträchtigen und nutzbringenden Zusammenarbeit im Rathaus. Bei den nächsten Wahlen war es eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen mit auf die Wahlliste kamen.
 
Der Kampf der mutigen Frauen war beispielhaft und machte in ganz Deutschland Schule.
Clara Schmidt blieb Stadtverordnete bis 1933. Dann legte sie ihr Mandat nieder, notgedrungen, da Frauen unter den Nationalsozialisten nicht mehr als Mandatsträgerinnen zugelassen waren.
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Clara Schmidt lebte bis zu ihrem Tode 1949 in Warendorf an der Oststraße.